Sollte man vor oder nach dem Essen einen Bolus geben? Gibt es Tricks, die man als Elternteil anwenden kann, um das Kind zum Essen zu bewegen? Oder sollte man gar ein paar listige Erpressungsversuche mit Schokolade oder Gummibärchen starten?
Das Essen ist vor allem bei Kindern mit Diabetes Typ 1 ein riesiges Thema und alles hängt davon ab, ob das Kind etwas isst oder nicht, und wie viel. Das Risiko einer Unterzuckerung ist omnipräsent. Denn die Insulinmenge muss sorgfältig ausgerechnet oder abgeschätzt werden.
Drei Elternteile berichten hier von ihren Kämpfen mit dem Kind ums Essen.
Bericht 1
Unsere
Tochter ist bald 5 Jahre alt und hat seit einem halben Jahr Diabetes Typ 1. Das
mit dem Essen ist so eine Sache… Sie kann in ihrem Alter nicht einschätzen,
wie viel sie isst und deshalb spritzen wir das Insulin erst nach dem Essen!
Auch die Erpressung mit Schokolade funktioniert super bei ihr!
Ebenfalls
angefangen haben wir, ihr zuerst die Kohlenhydrate auf den Teller zu geben und
wenn alles aufgegessen ist, darf sie Gemüse und Fleisch haben! Sie könnte sich
nur von Gemüse und Fleisch ernähren…
Claudia
Bericht 2
Mein Sohn war ja
gerade 3,5 Jahre alt bei der Diagnose. Ideales Alter, um seinen eigenen
Willen zu zeigen.
Uns hat unsere Diabetesschwester gleich am Anfang gesagt, wir sollen nach dem Essen spritzen. Erstens weiss man nicht genau, wieviel das Kind isst, und zweitens hat man dann nicht das Problem, zu viel gespritzt zu haben. Darum mussten wir nachträglich auch nicht mit Saft oder Süssem “nachzuckern”.
Ich bin dankbar
für den guten Tipp dieser Diabetesschwester. So
entstand eigentlich nie ein Machtkampf ums Essen. Allerdings
hatten wir das FIT- Schema. Mit der 2-Spritzentherapie (eine am Morgen, eine am
Abend – mit gemischten Insulinen) würde das nicht gehen, da man gegen
das Hypo anessen müsste…
R.B.
Bericht 3
Es ist mühsam! Meine Tochter kriegte den
Diabetes mit 9 Monaten. Damals hatte ich voll gestillt und gab ein bisschen
Beikost nebenbei. Sie trägt die Minimed 640, die ersten 5 Monate haben wir
blutig gemessen. Danach bekamen wir den Enlite. Aktuell hat sie 3.75 IE
Novorapid pro Tag. Wir haben verdünntes Insulin, damit es über die Pumpe gut
läuft, welches eine Apotheke herstellt und zuschickt.
Das Stillen
Ich hätte sie immer vor und nach dem Stillen
wiegen müssen, aber das tat ich nicht, weil es zu mühsam und anstrengend war,
da sie nicht still auf der Waage liegen oder sitzen konnte und dadurch die Zahl
immer schwankte. Und dazu kam, dass sie mir beim Stillen ständig eingeschlafen
war. Sollte ich sie wecken, dann wäre sie wieder wach geworden oder doch nicht?
Wieviel Milch hatte sie nun getrunken, wieviel Bolus sollte ich geben?
Im Spital wollte man uns dazu bringen, einen
4h-Essensrhythmus einzuhalten. Das funktionierte einfach nicht mit einem
Kleinkind. Wir stillten alle 3h, schon seit langem. Sie hinauszögern und
schreien lassen? Was soll man tun, wenn das Kind keinen Brei und kein
Fingerfood wollte? Es gab eine Riesendiskussion diesbezüglich und ich habe mich
nicht sonderlich beliebt gemacht.
Die Beikost
Mit Beikost kamen dann andere Probleme. Einen
kleinen Apfelbiss musste ich nicht bolen. Aber hier ein Biss, da ein Biss… Da
steigt der Blutzucker und erfordert eine Korrektur. So lebten wir quasi vom
Korrigieren. Das Einstellen der Basalrate war ein Ding der Unmöglichkeit. Denn
ein Kleinkind kann nicht lange nüchtern sein und ich sollte ja anfangen mehr
Beikost anzubieten. Es war ein Balanceakt zwischen Insulin geben und Essen
schätzen.
Als Beikost habe ich Diverses ausprobiert, um
zu schauen, was sie gerne ass. Ich machte kleine Weckgläser, abgefüllt mit etwa
10g KH. Davon ass sie manchmal 2 Löffel. Nun, wieviel Gramm Kohlehydrate wären
das jetzt gewesen? Wieviel Bolus wäre nötig? Bei so kleinen Kindern kommt es
auf jedes Gramm darauf an. Manchmal ass sie nur die Butter vom Brot, mal nur
den Käse, mal ein bisschen Brot, manchmal auch das Ganze. Und manchmal, wenn
man dachte, es wurde aufgegessen, fand man es unter dem Tisch.
Jetzt ist sie grösser und isst schon mehr als
nur paar Bissen. Wenn sie gut mag, isst sie 60g Pasta mit Gemüse. Wenn sie nicht
gut isst, muss man das Gemüse herausfischen und den Rest abwiegen und eine
Runde kopfrechnen.
Ich lernte, ihr den Bolus erst nach dem Essen
zu geben, auch wenn sie auf 16mmol stieg. Denn meistens, wenn der Bolus vorher
erfolgte, wollte meine Tochter aus heiterem Himmel nichts essen. Dann spürte
ich meine Nervosität ansteigen und fluchte innerlich über den „Seich“.
Ihr Wille und ihre Essensgelüste können rasch
ändern. Genauso wie ihr Blutzucker bei gleicher Tagesstruktur und dem gleichen
Essen immer anders aussieht.
Die Hypos
Anfangs als wir kein CGM hatten, war es mir
lieber, ihren Blutzucker generell höher zu belassen, da ich Angst vor Hypos
hatte. Denn die Hypos sah man meiner Tochter nicht an. Bei einem Blutzucker von
2,5 konnte sie quengeln oder anlehnungsbedürftig sein, dann wieder schnell
ablenkbar oder zufrieden. Ein Verhalten, das nicht nur bei einem Hypo vorkam.
Zu Beginn vom Diabetes im Spital verweigerte
sie bei den Hypo‘s anfangs das Zuckerwasser. Wir mussten ihr das Zuckerwasser
beinahe mit Gewalt einflössen. Das war purer Stress.
Heute nimmt sie die 5ml Zuckerwasser gerne und
sagt:“mmhhh Mämmh!“ Denn sowas gibt es sonst nie.
Jetzt, da sie den Enlite hat, kann ich etwas
Spannendes beobachten. Meistens, wenn die Pumpe in der Nacht abstellt, erwacht
sie und möchte trinken. Neulich ging sie Snacks in der Schublade schmausen, als
ihr Blutzucker 5mmol erreichte und weiter sank.
Dania
Erschienen im d-journal am Juni 04, 2019